Veranstaltung: | 42. Landesparteitag Magdeburg 30. November 2019 |
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Tagesordnungspunkt: | 7. Anträge |
Antragsteller*in: | Kay Müller (SV Halle (Saale)) |
Status: | Überweisung |
Eingereicht: | 30.10.2019, 00:00 |
A-7: Intensivpflege als Teil der ambulanten Versorgungsstruktur - Altbewährtes neu gedacht!
Antragstext
Im Sinne einer am Versicherten zu orientierender Versorgung, fordern wir:
- Die Einhaltung des Grundsatzes „ambulant vor stationär“, auch in der
außerklinischen Intensivpflege.
- Die Distanzierung vom vorliegenden Gesetzesentwurf der CDU zum Reha- und
Intensivpflege-Stärkungsgesetz – RISG.
- Die Erhaltung der ambulanten Intensivpflege ohne Altersbeschränkung.
- Bundeseinheitliche, kassenunabhängige Qualitätskriterien für Pflegekräfte
in der außerklinischen Intensivpflege, die an beatmeten Patient*innen
arbeiten.
- Die Erarbeitung einer bundeseinheitlichen Stundensatzvergütung für
Pflegedienste, die für alle Krankenkassen gültig ist und eine jährliche
Anpassung vorsieht.
- Einen gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohn in der Intensivpflege, der
sich prozentual an der jährlich aktualisierten Vergütungsvereinbarung mit
den Krankenkassen bemisst.
- Die Erarbeitung eines Prüfkataloges zur mindestens jährlichen Überprüfung
des
- Intensivstatus des Versicherten durch eine unabhängige Prüfstelle.
- Die Zuzahlungspflicht für Versicherte im Rahmen der intensivpflegerischen
Leistungen der Krankenversicherung, für die gesamte Dauer der
Inanspruchnahme der Leistung in Höhe von 2% des mit der Krankenkasse
vereinbarten Stundensatzes.
Begründung
Die Einhaltung des Grundsatzes „ambulant vor stationär“, auch in der außerklinischen
Intensivpflege.
Seit dem ersten Pflegestärkungsgesetz (PSG I) aus dem Jahr 2015 gilt der Leitsatz „ambulant vor
stationär“. Die CDU, allen voran Hermann Gröhe, skandierte damals „Kein Patient wird schlechter
gestellt!“ Entgegen dieser These hat die CDU nun einen Gesetzesentwurf (RISG) vorgelegt, der sowohl den Grundsatz umkehrt als auch Patient*innen der Intensivpflege, also Patient*innen mit einem Versorgungsbedarf in erheblichen Maßen (außerklinische Intensivpflege) deutlich schlechter stellt als andere Patient*innen. Der eingeführte Leitsatz „ambulant vor stationär“ sollte aus damaliger Sicht nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus ethischen Aspekten gelten. Die Versorgung in der gewohnten Umgebung eines Versicherten sollte so lange wie möglich sichergestellt werden. Abgesehen von einer Kostenersparnis im Vergleich zur Stationären Versorgung ist festzuhalten, dass man sich hier an den Satz: „Einen alten Baum verpflanzt man nicht.“ halten kann und sollte, auch wenn die Kostenersparnis im Rahmen der ambulanten Intensivpflege keine Gültigkeit hat.
Die Distanzierung vom vorliegenden Gesetzesentwurf der CDU zum Reha- und Intensivpflege- Stärkungsgesetz – RISG.
Der vorliegende Gesetzesentwurf verstößt in mehreren Punkten gegen geltendes Recht. Beispielhaft seien hier angeführt das Urteil des Bundessozialgerichts vom 10.11.2011 (B 3 KR 38/04 R). Dieses Urteil unterstreicht nochmals den gesetzlichen Anspruch des Versicherten aus dem SGB V § 37 Abs. 2 SGB V, dass jeder Versicherte einen Anspruch auf häusliche Krankenpflege hat. Dazu zählt auch die ständige Beobachtung des Versicherten durch eine Pflegefachkraft im Rahmen der ambulanten Intensivpflege, lebensbedrohlicher Komplikationen von Erkrankungen abzuwenden und eine ständige, sofortige Einsatzbereitschaft vor Ort sein muss, um medizinische Maßnahmen durchzuführen. Gemäß dem vorliegenden Gesetzesentwurf sollen Patient*innen mit Anspruch auf Intensivpflege zukünftig ausschließlich in Einrichtungen der stationären Pflege versorgt werden. Dies soll auch für bereits in der Häuslichkeit versorgte Patient*innen nach einer Übergangsfrist von 36 Monaten gelten. Dies stellt nahezu einen Entzug der Grundrechte dieser Patient*innen dar. Damit ist der Grundsatz der Selbstbestimmung Artikel 2 Abs. 1 i. V. m. Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ad absurdum geführt. Gleichzeitig wird das Recht auf Freizügigkeit nach Artikel 11 des Grundgesetzes und die allgemeine Handlungsfreiheit der betroffenen Patient*innen eingeschränkt. Es wird den betroffenen Patient*innen verwehrt, selbst zu entscheiden, wo und wie sie leben wollen. Auf europäischer Ebene verstößt das geplante Gesetzt dem Artikel 19 der UN- Behindertenrechtskonvention. Aus diesen Gründen haben wir als Grüne uns mit voller Kraft gegen diesen Gesetzentwurf zu stellen.
Die Erhaltung der ambulanten Intensivpflege ohne Altersbeschränkung.
Die Erhaltung der ambulanten Intensivpflege ohne Altersbeschränkung ist ein weiterer Punkt der einen menschenunwürdigen Umgang seitens der Christdemokraten mit intensivpflegebedürftigen Menschen dokumentiert. So soll die häusliche Intensivpflege am Kind bis zur Vollendung des 18 Lebensjahres möglich, danach jedoch der dann volljährige PatientIn in stationäre Versorungseinrichtungen untergebracht werden. Das herausreißen von Menschen mit Handicap aus ihrem gewohnten und familiären Umfeld stellt ebenfalls einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte dar. Die Ausführungen aus dem Vorherigen Punkt haben hier ebenfalls ihr Gültigkeit.
Bundeseinheitliche, kassenunabhängige Qualitätskriterien für Pflegekräfte in der außerklinischen Intensivpflege, die an beatmeten Patient*innen arbeiten.
In der Regel vereinbaren alle Krankenkassen separate Verträge mit den versorgenden Intensivpflegediensten. Diese darin enthaltenen Qualitätskriterien werden in der Regel auch als Maßstab für den zu verhandelnden Stundensatz angeführt. Neben den Krankenkassen, die in ihrem Interesse Verträge verhandeln, verhandeln Landes- und Bundesverbände (beispielhaft bpa, LVHK) im Sinne der Pflegedienste. Es bedarf einer für alle Kassen und alle Pflegedienste gültige Qualitätsvorschrift, die mit beatmeten Patient*innen arbeiten und die sich freimacht von Vorwürfen der Interessengeleiteten Verhandlung. Zu diskutieren wären u.a. die von der DIGAB festgelegten Qualitätskriterien in der S2k Leitlinie für außerklinische Beatmung, die jedoch im Gegensatz zu den bestehenden Qualitätskriterein und Anforderungen an Pflegekräfte stehen die Patienten mit persönlichem Budget versorgen.
Die Erarbeitung einer bundeseinheitlichen Stundensatzvergütung für Pflegedienste, die für alle Krankenkassen gültig ist und eine jährliche Anpassung vorsieht.
Wenn alle eine gleiche Arbeit und unter gleichen strukturellen Bedingungen (Qualitätskriterien/ Qualifikation) leisten, ist diese auch in gleichem Maße zu honorieren. Hierfür ist ein bundeseinheitlicher und verbindlicher Stundensatz zu erarbeiten der sowohl bei Patient*innen mit als auch ohne Beatmung Anwendung findet. Auf Grund der zu erwartenden Schwankungen von Lohn- und Lohnnebenkosten ist dieser Stundensatz jährlich zu evaluieren.
Begründung; In der Intensivpflege ist immer von einer Mischkalkulation auszugehen. Das heißt ein Mischverhältnis aus Patient*innen mit und ohne Beatmung. Grundsätzlich sind alle Mitarbeiter eines Intensivpflegedienstes für die Beatmung zu qualifizieren auch wenn sie nicht am beatmeten Patient*innen arbeiten, da der Einsatz (auch wenn nur aushilfsweise) bei beatmeten Patient*innen zu erwarten ist. Der Stundensatz ist in einer paritätisch besetzten Kommission aus Vertretern der Krankenkassen, Pflegedienste und Patient*innenvertreter zu ermitteln.
Einen gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohn in der Intensivpflege, der sich prozentual an der jährlich aktualisierten Vergütungsvereinbarung mit den Krankenkassen bemisst.
Wie für Träger der Intensivpflegedienste soll auch bei dem eingesetzten Fachpersonal der Grundsatz gelten: Wenn alle eine gleiche Arbeit und unter gleichen strukturellen Bedingungen (Qualitätskriterien/ Qualifikation) leisten, ist diese auch in gleichem Maße zu honorieren. Dieser Mindestlohn ist nicht auf einen Betrag festzuschreiben, sondern bemisst sich prozentual am mit den Kassen vereinbarten Stundensatz. Auch dieser ist jährlich zu evaluieren und zwingend anzupassen. Die Kriterien zur Ermittlung des Prozentsatzes sind in einer paritätisch besetzten Kommission aus Vertretern der Krankenkassen, Pflegedienste und Patient*innenvertreter zu ermitteln. Die Erarbeitung eines Prüfkataloges zur mindestens jährlichen Überprüfung des Intensivstatus der Versicherten durch eine unabhängige Prüfstelle. Um Fehlanreize zu vermeiden ist ein Prüfkatalog zu entwickeln der mind. 1x jährlich den Intensivstatus des/ der Versicherten durch eine unabhängige Prüfstelle (z.B. MDK) feststellt. Ferner werden behandelnde Ärzte und versorgende Pflegedienste dazu verpflichtet, eine Überprüfung des Intensivstatus anzuregen, sofern Kriterien, die eine intensivpflegerische Versorgung rechtfertigen nicht mehr gegeben sind oder der Patient Versorgungen regelhaft ablehnt (z.B. ständiges Ablehnen der Beatmung).
Die Kriterien zur Erstellung des Prüfkataloges sind in einer paritätisch besetzten Kommission aus Vertretern der Krankenkassen, Pflegedienste, Patient*innenvertreter und Fachärzten zu ermitteln.
Die Zuzahlungspflicht für Versicherte im Rahmen der intensivpflegerischen Leistungen der Krankenversicherung, für die gesamte Dauer der Inanspruchnahme der Leistung in Höhe von 2% des mit der Krankenkasse vereinbarten Stundensatzes.
Die Versorgung von Patient*innen mit Intensivstatus in der der 24h-Pflege ist die teuerste Versorgungsform/ Art zu pflegen, bietet jedoch die höchstmögliche Sicherheit für die Patient*innen, die höchste Qualität und bedarf aber auch dem Meisten Personal bei einem Versorgungsschlüssel von 1 : 4,5 bis 1 : 5,5.
Gleichzeitig zeigt sich, dass die Zuzahlung der Versicherten in der Regel deutlich niedriger ausfällt, als bei einer Unterbringung in einer stationären Pflegeeinrichtung mit deutlich schlechterem Personalschlüssel und niedrigeren Qualitätskriterien. Um Fehlanreize zu vermeiden ist eine Zuzahlung von 2% des mit der Krankenkasse vereinbarten Stundensatzes der SGB V Leistungen durch den Versicherten zu vereinbaren. Eine Deckelung der Zuzahlung in noch festzulegender Höhe für alle Leistungen aus SGB V und SGB XI die durch einen Intensivpflegedienst erbracht werden ist einzurichten.
Begründung zur Dringlichkeit
Der Referentenentwurf zum RISG spaltet die Pflegebranche. Als Partei deren Grundwerte Solidarität und Selbstbestimmtheit sind ist es dringend nötig hier klare Position zu beziehen und für die (Menschen-)rechte der Patient*innen einzutreten. Finanzielle Interessen dürfen nicht über Grundrechte von Patient*innen gestellt werden.
Die Onlinepetition verzeichnet mittlerweile fast 130.000 Unterschriften und sollte für uns als Grüne ein deutliches Signal sein.
Das Gesetz gilt es schnellstmöglich zu stoppen. Dennoch muss ein adäquater Gegenvorschlag gemacht werden, der auch langfristig eine Gegenfinanzierung der kostspieligen Intensivpflege in einer immer älterwerdenden und immer pflegebedürftigen Bevölkerung sicherstellt. Es bedarf eine bundesweit einheitliche Finanzierung, einen einheitlichen Lohn für hochqualitative Arbeit und bundeseinheitliche Qualitätskriterien.
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